Genetischer Risikofaktor für Alzheimer-Demenz Warum ein spezielles Gen frühzeitig Alzheimer auslöst

/Markus Brauer
Alzheimer-Demenz ist bisher unheilbar. Mit Medikamenten kann die Krankheit kaum behandelt werden. Wissenschaft und Industrie forschen mit großem Aufwand, um endlich einen Durchbruch zu erreichen. Foto: Imago/Panthermedia

Die genauen Ursachen für die Entwicklung von Alzheimer sind bisher nicht geklärt. Doch Forscher haben jetzt ein Gen identifiziert, das bei doppelter Ausführung bei fast jedem Symptome der gefürchteten Krankheit entwickeln lässt – und zwar relativ früh.

 
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Menschen mit einer doppelten Ausführung des sogenannten ApoE4-Gens – einer Variante des Apolipoprotein E – im Erbgut entwickeln einer Studie zufolge fast immer Anzeichen von Alzheimer. ApoE4 gilt als wichtigster genetischer Risikofaktor für eine Alzheimer-Erkrankung.

Zudem beginne die Krankheit bei ihnen mehrere Jahre früher als bei nicht-erblichem Alzheimer, berichtet ein Forschungsteam um Juan Fortea vom Sant Pau-Institut in Barcelona im Fachblatt „Nature Medicine“. Die Gen-Kombination kommt demnach in der Bevölkerung vergleichsweise häufig vor.

Was ist Morbus Alzheimer?

Alzheimer und bestimmte andere Demenzerkrankungen gehören nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO inzwischen zu den zehn häufigsten Todesursachen weltweit.

Eine Reihe von MRT-Aufnahmen des Gehirns. Foto: Imago//Panthermedia

Alzheimer-Demenz, auch Morbus Alzheimer genannt, ist bisher unheilbar. Mit Medikamenten kann die Krankheit kaum behandelt werden. Wissenschaft und Industrie forschen mit großem Aufwand, um endlich einen Durchbruch zu erreichen. Seit fast 20 Jahren aber gibt es keine ernst zu nehmenden Fortschritte oder neuen Wirkstoffe.

Weltweit leiden rund 50 Millionen Menschen an Alzheimer, der häufigsten Form von Demenz. Die Krankheit zerstört nach und nach Hirngewebe und nimmt den Betroffenen ihre Erinnerungen.

In Deutschland sind es etwa 1,7 Millionen. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung ist davon auszugehen, dass die Zahlen in Zukunft stark steigen werden. 2050 erwarten Wissenschaftler etwa 117 bis 130 Millionen Betroffene weltweit und 2,7 Millionen in Deutschland.

Kaskade an Hirnveränderungen schädigen Nervenzellen

Das Gen ApoE4 werde schon lange mit einem höheren Risiko für die Entwicklung von Alzheimer in Verbindung gebracht, schreibt Fortea. „Aber jetzt wissen wir, dass praktisch alle Personen, die dieses Gen in doppelter Ausführung tragen, körperliche Alzheimer-Merkmale entwickeln. Dies ist wichtig, denn diese Menschen machen zwischen zwei und drei Prozent der Bevölkerung aus.“

3D-Illustration eines Lipoproteins. Foto: Imago//BSIP

Deutsche Experten sprechen von einer „überzeugenden Arbeit“, die einen „bedeutenden Wissenszuwachs“ leiste. In Deutschland sind aktuell mehr als eine Million Menschen an Alzheimer erkrankt, der häufigsten Form von Demenz. Tendenz steigend.

Zwar ist die Ursache der Erkrankung bislang nicht genau geklärt. Der Hauptverdacht richtet sich aber gegen das Proteinfragment Beta-Amyloid (Aß), das im Gehirn zwischen Nervenzellen Ablagerungen bildet, sogenannte Plaques. Sie führen zu einer Kaskade an Hirnveränderungen, die letztlich die Nervenzellen schädigen und zu Demenz führen.

ApoE4: wichtigster genetischer Risikofaktor für Alzheimer

Eine Variante des Apolipoprotein E, ApoE4 (Apolipoprotein E4) ist der bisher größte bekannte genetische Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit. Die Aufgabe dieser Eiweißstoffe ist es, wichtige Nährstoffe zu den Nervenzellen im Gehirn zu bringen. Lipoproteine können im Blut gemessen werden. Erhöhte Werte weisen auf ein gesteigertes Risiko für die Entstehung der Arterienverkalkung (Atherosklerose) hin.

Lipoproteine bringen wichtige Nährstoffe zu den Nervenzellen im Gehirn. Foto: Imago/Science Photo Library

Beim Menschen kommen drei verschiedene Varianten des Proteins vor: ApoE2, ApoE3 und ApoE4. Jeder Mensch hat – aufgrund des doppelten Chromosomensatzes – grundsätzlich zwei Gene für ApoE. Diese können, müssen aber nicht von der gleichen Variante sein.

Die Variante ApoE4 gilt schon lange als Risikofaktor für Alzheimer. Laut Deutschem Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) legen Studien nahe, dass durch ApoE4 die Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen aus dem Takt gerät und deshalb die Nervenzellen beschädigt werden. Zudem beschleunigten ApoE4-Proteine massiv die Bildung der Amyloid-Plaques.

Klar war auch, dass Menschen, die ApoE4-Gene in doppelter Ausführung in ihrem Erbgut tragen, besonders häufig von Alzheimer betroffen sind. Fachleute sprechen von ApoE4-Homozygotie.

Alzheimer nur selten erblich

Alzheimer ist nach Angaben der Alzheimer Forschung Initiative (AFI) nur in sehr seltenen Fällen erblich. Bislang sind demnach drei Gene, nämlich APP, PSEN1 und PSEN2 bekannt, die für eine erbliche Form verantwortlich sind. Betroffene erkranken laut AFI häufig relativ früh, nämlich in einem Alter zwischen 30 und 65 Jahren.

Darstellung des Gehirns mithilfe von Magnetresonanztomographie Foto: Imago/Cover Images

Mit ApoE4 könnte nun ein viertes Gen hinzukommen. Anders als bei APP, PSEN1 und PSEN2 muss ein Mensch aber nicht nur ein, sondern zwei ApoE4-Gene tragen, also homozygot sein, um mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die erbliche Alzheimer-Form zu entwickeln.

Homozygot bedeutet also, dass das Erbgut einer Zelle zwei gleiche Kopien (Allele) eines bestimmten Gens auf den beiden Chromosomen aufweist, die das Gen enthalten.

APOE4-Homozygotie und Alzheimer

Das Team um Juan Fortea hatte untersucht, wie stark der Zusammenhang zwischen ApoE4-Homozygotie und Alzheimer ist. Dafür schauten sich die Forschenden Daten mehrerer großer Gesundheitsstudien an. Darunter waren Angaben zu mehr als 3000 Hirnspendern, von denen knapp jeder Zehnte das ApoE4-Gen in doppelter Ausführung trug. Außerdem analysierte das Team Daten zu Biomarkern und Krankheitsfortschritt bei über 10 000 Menschen, auch unter ihnen waren Menschen mit zwei ApoE4-Genen.

Weltweit leiden rund 50 Millionen Menschen an Alzheimer, der häufigsten Form von Demenz. Die Krankheit zerstört nach und nach Hirngewebe und nimmt den Betroffenen ihre Erinnerungen. Foto: Imago/Dreamstime

„Die Ergebnisse zeigten, dass fast alle ApoE4-homozygoten Träger eine Alzheimer-Pathologie zeigten und ab einem Alter von 55 Jahren deutlich höhere Werte von Alzheimer-Biomarkern aufwiesen als ApoE3-homozygote Träger“, schreibt das Team um Fortea.

Mit 65 Jahren hätten mehr als 95 Prozent der Betroffenen zu hohe Amyloidwerte im Nervenwasser gehabt, bei drei von vier Patienten konnten Amyloid-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen werden. Das deute darauf hin, dass homozygote Träger des ApoE4-Gens fast immer Alzheimer-Merkmale ausbilden, so die Studienautoren.

Reaktionen auf die Studie

  • Medikamente: In einem ebenfalls in „Nature Medicine“ erschienenen Kommentar zur Studie heißt es: „Die Neudefinition der ApoE4-Homozygotie als genetische Form der Alzheimer-Krankheit würde die Art und Weise ändern, wie Forscher über Alzheimer denken und wie sie die Krankheit erforschen. Diese neue Definition verankert ApoE4 als kausalen Faktor von Alzheimer, und nicht nur als Risikofaktor.“ Es sei dringend notwendig, ein Medikament zu entwickeln, das speziell darauf abziele.
  • Wahrscheinlichkeit: Alfredo Ramírez, Leiter der Sektion Molecular Neuropsychiatry an der Uniklinik Köln, überzeugen die Ergebnisse: „Es gibt nicht mehr viel zu tun, um ApoE4 als monogene Form der Alzheimer-Krankheit zu betrachten.“ Es müsse aber unter anderem noch korrekt bestimmt werden, wie hoch für homozygote Träger die Wahrscheinlichkeit tatsächlich sei, an Alzheimer zu erkranken.
Weit verbreiteter Irrtum – Alzheimer ist keine Alterserscheinung: Ein Zettel als Gedächtnisstütze, dass man den Herd ausschaltet: Menschen mit Alzheimer werden unter anderem zunehmend vergesslich. Foto: dpa/Christin Klose
  • Therapie: Nicolai Franzmeier, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Entstehung von Alzheimer forscht, erklärt: „Die Studie hat jedoch praktisch erst mal keinen Einfluss auf die Diagnostik in der klinischen Routine – zumindest aktuell nicht in Deutschland.“ In der klinischen Routine werde die ApoE4-Diagnostik üblicherweise nicht empfohlen, da daraus bislang noch keine therapeutische Konsequenz resultiere, was sich jedoch in Zukunft ändern könne. Eine neue Antikörper-Therapie, die bald in der EU zugelassen werden könnte, hat Franzmeier zufolge bei ApoE4-Trägern deutlichere Nebenwirkungen als bei Trägern anderer ApoE-Varianten.

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